Es war der erste Flugzeugangriff auf österreichisches (damals „ostmärkisches“) Gebiet und die Bewohner:innen von Wiener Neustadt waren völlig überrascht, als diese Flugzeuge ihre Bombenlast über Wiener Neustadt abluden. Bei diesem Angriff wurden 134 Personen getötet, weitere 128 schwer, und über 900 leicht verwundet. Ab diesem Tag wusste man auch in der Ostmark, dass jeder Ort, jederzeit einem Fliegerangriff zum Opfer fallen könnte. Im Laufe der folgenden Monate wurden die Wiener Neustädter Flugzeugwerke von amerikanischen Bombern immer wieder angegriffen.
Am 29. Mai 1944 hatten die amerikanischen Bomber die Flugzeugindustrie in Wiener Neustadt derart schwer getroffen, dass ab sofort nun jene Fabriken angegriffen wurden, die für die Wiener Neustädter Flugzeugwerke, hier vor allem für die Me 109 – einem deutschen Flugzeugjagdflieger – Flugzeugteile produzierten. Einer dieser Betriebe war die Pottendorfer Spinnerei.
Teile der Spinnerei
Bereits am 30. Mai 1944 wurde daher Pottendorf als Ziel auserwählt und angegriffen. Um 10.26 Uhr begannen 50 Bomber mit dem Abwurf ihrer Bomben über Siegersdorf, Pottendorf und Landegg.
Insgesamt wurden von ihnen 492 Bomben abgeworfen. Siegersdorf wurde von 60 Bomben getroffen, mehrere Wohnhäuser wurden in Mitleidenschaft gezogen, die Kirche und die Schule vollständig zerstört. Einige Personen wurden verletzt, es gab aber zum Glück keine Toten. Ganz anders aber in Pottendorf und Landegg. In Pottendorf wurde die Spinnerei fast zur Gänze zerstört. Zwei Arbeiter der Spinnerei blieben im Heizhaus und starben, da das Heizhaus einen Volltreffer erhielt. Es wurden auch einige Wohnhäuser getroffen und dabei sieben Menschen getötet.
Noch mehr Tote gab es in Landegg, wo insgesamt zwölf Menschen den Tod fanden. Unter ihnen waren zwei polnische Familien mit vier Kindern, die zwischen vier Monaten und 13 Jahre alt waren. Diese polnischen Familien mussten als Zwangsarbeiter in einem Gartenbau- und Getränkebetrieb arbeiten. Sie befanden sich zur Zeit des Angriffs, zusammen mit einer Hausgehilfin in einem Erdbunker, der von einer Bombe getroffen wurde und alle zehn Insassen tötete.
Spinnerei von vorne.
Auch die Landegger Kirche blieb nicht verschont. Sie stürzte zum Teil in sich zusammen und musste in weiterer Folge abgetragen werden. Auch eine ganze Reihe von Häusern wurde schwer beschädigt, dabei kamen zwei Männer ums Leben und einige Personen wurden verletzt. Riesiges Glück hatten hunderte Menschen (die Angaben schwanken zwischen 500 und 800 Personen), die, so wie in den Monaten zuvor, bei Fliegerangriffen in die Spinnerei eilten und dort im Keller Schutz fanden. Ertönte fast täglich ein Sirenendauerton, der vom Schuldiener ausgelöst wurde (das Telefon in der Schule war ständig unter Aufsicht) und, der die Leute aufforderte, so schnell als möglich einen Luftschutzbunker aufzusuchen, da sich feindliche Flugzeuge im Anflug befinden.
Doch bis zum 30. Mai 1944 passierte nie etwas. Aber genau an diesem 30. Mai 1944 wurde in der Spinnerei zum ersten Mal ein neuer, tiefer liegender Kellerraum zum Luftschutzraum adaptiert und viele hunderte Menschen fanden hier Platz. Um 10.26 Uhr begannen die amerikanischen Bomber die drei Ortschaften zu bombardieren, unzählige Bomben fielen auf die Spinnerei und auf die Teppichfabrik.
Die Leute im Keller der Spinnerei standen Todesängste aus, als viele Minuten lang Bombe um Bombe auf die Spinnerei fiel, ein Stockwerk nach dem anderen samt den schweren Maschinen auf die Kellerdecke stürzten – und diese Decke dem enormen Druck standhielt.
Es war wie ein Wunder: obwohl dieses große Spinnereigebäude zu zwei Drittel total zerstört wurde und in sich zusammenfiel, überstanden alle Menschen im Keller diese Bombardierung völlig unverletzt! Aber nicht nur in der Spinnerei befand sich ein Luftschutzraum, sondern auch in mehreren Häusern wurde meist ein Keller dazu umfunktioniert und von Personen während des Bombenangriffs aufgesucht. Im Gasthaus Kellner befand sich ein öffentlicher, der von Durchreisenden in Anspruch genommen wurde, ein weiterer im alten Pfarrhof, in dem, als das Schloss von einer Bombe getroffen wurde, der Luftdruck und Lärm in schier unerträglich wurde. Aber dennoch waren diese Zufluchtsorte die einzige Möglichkeit sich ein wenig in Sicherheit zu bringen.
Die zerstörte Kirche in Landegg
Ganz großes Glück hatte die Familie Bremhorst in der Hartlgasse. Während sie sich mit anderen in einem Schutzraum des Hofes befanden, wurde das gegenüberliegende Wohnhaus getroffen und schwer geschädigt. Auf dem Foto sind Soldaten der LS-Mot (motorisierte Luftschutzeinheit) zu sehen, die bei den Aufräumungsarbeiten von Bombeneinschlägen mithalfen, um alle Schäden so rasch als möglich wieder zu beseitigen.
alle Fotorechte: Schule Pottendorf
Adaptiert aus der Gemeindezeitung Mai und Juni 2014, Hans Leopold